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Teenager außer Kontrolle

Nichts ist im deutschen Fernsehen derzeit so erfolgreich wie die Reality. Behaupte ich jetzt mal, ohne mir die Einschaltquoten genau angesehen zu haben. Dass immer mehr solcher Doku-Shows entstehen spricht jedenfalls dafür. Da gibt es Auswanderer, Rückwanderer, Gesangs- und sonstige Talente und sonst noch allerlei. Und die irgendwie ganz eigene Kategorie der Erziehungs-Shows. Edutainment wird seit fünf Jahren großgeschrieben. Verschiedene Super-Nannys bringen Ruhe in verkrachte Familien. Dabei hat es Katharina Saalfrank, die bekannteste Vertreterin dieser Zunft, inzwischen zu einiger Berühmheit gebracht. “Liefe ihre Sendung im WDR, sie hätte schon den Grimme-Preis”, meinte Lothar Gorris 2005 im Spiegel. Tut sie aber nicht. “Die Super Nanny” läuft auf RTL. Wie auch “Die Ausreißer” und seit heute in der dritten Staffel “Teenager außer Kontrolle” mit der auch ganz und gar nicht uncharismatischen Annegret Noble.

Annegret Noble

Allen dreien gemeinsam ist der Spagat den sie machen müssen. Einerseits eine durchaus hoch-professionelle Betreuungs- bzw. Therapie-Situation, andererseits ein Millionenpublikum, das daran Anteil nimmt.

Wie pervers das zeitweise ist, zeigt sich, wenn in den kleinen Zuspielern, die die schweren Fälle vor der Therapie bei ihren Familien zeigen. “Jetzt komm ins Haus! Müssen ja die Nachbarn nicht alle mitkriegen, was hier abgeht”, versucht da eine Mutter ihre eben aus dem Haus gerannte Tochter in der Vorstadtsiedlung vom Gehsteig zurück ins Wohnzimmer zu locken. Seit heute kennen diese Szene nicht nur ihre Nachbarn, sondern – sollten die Einschaltquoten wieder die der letzten Staffeln erreichen – auch die drei bis vier Millionen Zuseher von “Teenager außer Kontrolle”.

Erlebnispädagogik mit Frau Noble

Vor Jahren herrschte über diese Formate helle Aufregung. Geradezu hysterisch nahm der Kinderschutzbund NRW im Jahr 2004 Stellung zur Super Nanny. Inzwischen hat sich nicht nur gezeigt, dass der Umgang der Medien mit solchen Formaten bei weitem nicht so unverantwortlich ist wie befürchtet. Es ist auch nicht das Talk-Show Publikum der 90er Jahre das sich hier unterhalten lässt (dagegen spricht auch schon die Sendezeit). Eine Studie des Publizistik-Institutes der universität Wien kam schon 2006 zum Ergebnis, dass die Super Nanny “keine Freakshow” sei.

“Allem voran räumt die Studie mit dem Klischee auf, beim typischen Zuschauer der Super-Nanny-Shows handele es sich um einen Voyeur, der sich an den Verhaltensauffälligkeiten der Kinder und der Überforderung der Eltern schadenfreudig ergötzt. Im Gegenteil entspringt die Zuschauermotivation zumeist einem Orientierungs- und keinem Unterhaltungsbedürfnis, auch wenn Letzteres nicht fehlt. Der typische Zuschauer ist aber gemäss der Wiener Studie nicht auf Sensationen, sondern auf Orientierung aus. Es handelt sich zumeist um Frauen unter 30 Jahren mit niedrigem Einkommen und mindestens einem Kind. Diese Frauen erleben sich selbst in der Gesellschaft und Politik als ohnmächtige Aussenseiter und sehen in der Erziehungsaufgabe eine Möglichkeit, an der Zukunft gestaltend mitzuwirken. Sie wollen ihre Situation im Griff haben und ihre Durchsetzungsfähigkeit beweisen.”

Was es über unsere Gesellschaft aussagt, dass sie sich so gerne mit der Erziehbarkeit und Sozialisierbarkeit ihrer Jugend beschäftigt, bleibt da mal dahingestellt. Aber offensichtlich besteht eine gute Portion Interesse an entsprechenden Techniken. Und es rücken neue Professionen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. PädagogInnen, StreetworkerInnen und TherapeutInnen erscheinen auf der Bildfläche. Letztere bisher eher ein Fall für Kriminalfälle, die beiden anderen überhaupt eher Randerscheinungen mit leicht sozialromantischen Touch. Jetzt allesamt vielbeachtete Wunder-Wuzzis mit einem Rucksack wirkmächtiger Tools zur Teenagerbändigung. Ein ordentlicher Image-Schub zumindest. Das soll mir recht sein.

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